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Sieben Jahre freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V. – eine Bilanz

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Viele von uns erinnern sich noch gut an den sogenannten Herzklappenskandal Mitte der 90er Jahre. Unternehmen zahlten Schmiergelder an Krankenhäuser, die im Gegenzug Herzklappen, Herzschrittmacher und weiteres medizintechnisches Gerät zu überhöhten Preisen bestellten. Dieser Skandal und weitere Korruptionsfälle warfen ein neues, ungutes Licht auf eine systematische Praxis, die sich über die Jahre eingependelt hatte. Pharma-Unternehmen und Ärzteschaft begünstigten sich durch kleinere und größere Gefälligkeiten gegenseitig und erwirtschaftete so auf zwielichtige Weise ökonomischen Gewinn, meist zu Lasten von Krankenkassen und Beitragszahlern. Viel bedeutender war jedoch der immaterielle Schaden, nämlich ein fundamentaler Vertrauensverlust in der Beziehung zwischen Pharma-Herstellern, Ärzteschaft und Bevölkerung.

Gerade das heikle Thema Gesundheit lebt zu einem ganz wesentlichen Teil von einer vertrauensvollen Basis: Patienten müssen sich sicher sein, dass in erster Linie ihre Gesundheit und nicht die Gewinnmargen von Unternehmen oder behandelndem Arzt im Vordergrund steht. Im Zuge einer zum Teil hitzigen Debatte über den weiteren Verlauf der Kooperation zwischen Industrie und medizinischen Fachkreisen kam sogar die Forderung nach einem Verbot jeglicher Beziehung auf. Gefragt waren also verbindliche Standards für ethisch korrektes Verhalten, deren Einhaltung wiederum durch eine übergeordnete Regelungs- und Sanktionsinstanz garantiert werden musste. Für diese anspruchsvolle Aufgabe wurde schließlich 2004 der Verein „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie  e.V.“ (FSA) gegründet. Sein Ziel ist es, die ethisch einwandfreie Zusammenarbeit von Unternehmen und medizinischen Fachkreisen zu fördern und für einen lauteren Wettbewerb der Unternehmen untereinander zu sorgen.

Für manche stellte sich mit der FSA-Gründung die Frage: Warum hat man eine (vermeintlich) zahnlose, freiwillige Selbstkontrolle ins Leben gerufen, anstatt eine staatliche Reglementierung zu fordern? Die Antwort: Ein langfristiger Wandel im Pharma-Marketing kann nur durch die Verinnerlichung ethischer Grundsätze, Werten und Normen seitens der Branche selbst erfolgen. Äußerer Druck wirkt bei solchen Anforderungen eher kontraproduktiv.

Aktive Verinnerlichung ethischer Spielregeln

Zur Verwirklichung seiner Ziele hat der FSA als ersten Schritt „ethische Spielregeln“ in einem strengen und verbindlichen Verhaltenskodex für ein transparentes Pharma-Marketing etabliert. Der hierfür herausgegebene „FSA-Kodex zur Zusammenarbeit der pharmazeutischen Industrie mit Ärzten, Apothekern und anderen medizinischen Fachkreisen“ geht in Teilen über bestehende gesetzliche Regelungen hinaus und trägt dem Ruf nach mehr Transparenz Rechnung. In einem nächsten Schritt ist der FSA aktiv auf Ärzteschaft und medizinisches Fachpersonal zugegangen, um sie hinsichtlich der Frage „Was darf ich annehmen, was ist erlaubt?“ zu sensibilisieren. Gerade auf diesem Feld bestand bei dem betroffenen Personenkreis viel Unsicherheit; zugleich zeigte sich, wie wichtig eine kontinuierliche und fundierte Aufklärungsarbeit ist.

Gleichzeitig hat der FSA auf Seiten der forschenden Pharma-Unternehmen Aufklärungsarbeit geleistet, um den Prozess der Verinnerlichung auf beiden Seiten voranzutreiben. Die Unternehmen sind verpflichtet, die Kodex-Regelungen einzuhalten. Hierbei sind vor allem die Mitarbeiter, die mit dem Thema Marketing und Vertrieb in Berührung kommen, die wichtigsten Ansprechpartner. Das setzt natürlich voraus, dass die Mitarbeiter mit den Regeln vertraut sind und diese anwenden können. Hier hat der FSA in acht Jahren durch über 300 Schulungen und Fortbildungen Pionierarbeit auf dem Feld des ethischen Pharma-Marketings geleistet. Zugleich haben die Unternehmen durch Compliance Officer interne Strukturen für die Umsetzung geschaffen. Doch nicht nur die Pharma-Industrie selbst, sondern auch Dienstleister wie Eventagenturen und Hotels, in denen beispielsweise Fortbildungsveranstaltungen für Ärzte abgehalten werden, haben die Bedeutung eines ethisch einwandfreien Geschäftsgebarens erkannt und bemühen sich mittels Vorab-Beratung im Einzelfall durch den FSA um ein kodexkonformes Tagen.

Im Laufe der Jahre kristallisierte sich mit den Patientenorganisationen eine neue Zielgruppe heraus. Deshalb brachte der FSA im Oktober 2008 ein weiteres Regelwerk auf den Weg: den „FSA-Kodex für die Zusammenarbeit der pharmazeutischen Industrie mit Patientenorganisationen“. Im Kern geht es darum, dass die Neutralität und Unabhängigkeit der Patientenorganisationen bei der Zusammenarbeit mit Unternehmen gewahrt bleibt. Das heißt: FSA-Mitgliedsunternehmen sind angehalten, keinen Einfluss auf das Beratungsverhalten von Patientenorganisationen auszuüben, während jene keinerlei Empfehlungen für ein verschreibungspflichtiges Medikament oder eine bestimmte Therapieform geben dürfen. Ein höchstmögliches Maß an Transparenz in der Zusammenarbeit wird dadurch verpflichtend, dass die Unternehmen einmal jährlich ihre finanziellen Zuwendungen an Patientenorganisationen der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich machen müssen, womit dem überholten Argument der finanziellen „Unterwanderung“ der Organisationen in den vergangen Jahren deutlich der Boden entzogen wurde.

Klarer Kodex – klarer Schutz vor strafrechtlichen Konsequenzen

Im Dschungel aus gesetzgeberischen Vorschriften, unternehmenseigenen „Rules of Engagements“ und gesellschaftsethischen Erwartungen ist es nicht immer einfach den Überblick zu behalten. Die FSA-Kodizes bieten nicht nur eine Orientierungshilfe in der täglichen Arbeit, sondern – und das ist gerade in der aktuellen Debatte um die juristische Interpretation des §299 StGB durch den Bundesgerichtshof (BGH) eine zentrale Botschaft – haben durch ihre klaren und über die gesetzlichen Vorschriften hinausgehenden Regelungen eine Schutzfunktion für Mitarbeiter in Unternehmen vor strafrechtlicher Verfolgung durch staatliche Organe. Insofern hat der FSA auch an dieser Stelle im Laufe der Jahre eine gewichtige Rolle eingenommen. Es zeigt sich, dass eine stete Information der relevanten Multiplikatoren – Ärzte, Apotheker, Patienten, Meinungsbildner, Unternehmen – den Boden für eine langfristige Etablierung der Kodex-Regelungen bereiten.

Der Kodex wirkt

Dem FSA gehören aktuell 64 unterworfenen Unternehmen an, welche über 70 Prozent des deutschen Pharma-Marktes abdecken. Seit 2004 hat der FSA über 300 Beanstandungen bearbeitet, mehr als 130 Abmahnungen und Entscheidungen erlassen sowie Geldstrafen verhängt und als Sanktionsmaßnahme Unternehmensnamen veröffentlicht. Besonders erfreulich ist, dass insbesondere Mitgliedsunternehmen des FSA Beanstandungen vortragen und der Idee einer Selbstkontrolle damit gerecht werden. Einziger Wermutstropfen: Die Beanstandungen aus der Ärzteschaft bei vermeintlichem Korruptionsverdacht könnten höher ausfallen. Hier sind Ärztevertreter als primäre Bezugsgruppe von Unternehmen nochmals ausdrücklich aufgefordert, eine aktivere Rolle zur Durchsetzung ethischen Verhaltens in der Pharma-Branche einzunehmen und Fehlverhalten beim FSA anzuzeigen. Darüber hinaus ist der FSA bei Pharma-Unternehmen, Ärzteschaft, Patientenorganisationen und weiteren medizinischen Fachkreisen als kompetenter Ansprechpartner geschätzt und erfährt als zentrale Sanktionsinstanz eine wichtige Gatekeeper-Funktion im ethischen Pharma-Marketing. „Der FSA hat durch seine Tätigkeit als kritische Instanz seit seiner Gründung 2004 maßgeblich zu einem Sinneswandel in der Arzneimittelindustrie beigetragen“, sagt beispielsweise Dr. Henning Friebel, Präsident der Ärztekammer Sachsen-Anhalt, und erwähnt das wohl schärfste Sanktionsmittel: „Wer einmal am Pranger stand, ist auf lange Zeit beschädigt“. Und diesen Imageschaden versuchen die Unternehmen tunlichst zu vermeiden.

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